Springe zum Inhalt: Österreichisches Nationalteam im Rennrodeln – Auf der Suche nach dem Tausendstel

Österreichisches Nationalteam im RennrodelnAuf der Suche nach dem Tausendstel

Auf neuen Rodeln rast Österreichs Nationalteam im Rennrodeln in diesem Winter den Eiskanal hinunter. Mit der Neukonstruktion wollen die Sportler die entscheidenden tausendstel Sekunden auf die Konkurrenz gutmachen. Die Basis bildete ein 3D-Scan von 1zu1 Prototypen. Marco Hermann und Hubert Kemmer (1zu1) sowie Rainer Nachbaur (Differences) geben Einblicke ins Projekt.

27. November 2014

Der Wimpernschlag eines Menschen dauert eine zehntel Sekunde. Im Rennrodeln ist das eine kleine Ewigkeit. Nach einer rasenden Fahrt mit bis zu 130 km/h über mehr als einen Kilometer Länge beträgt der Zeitabstand der Athleten oft nur wenige Tausendstel. Umso erstaunlicher, dass die Sportler ihre Schlitten bisher von Hand fertigten. Zwei gleiche Rodel gab es nicht. Mit den Einzelstücken gingen sie in den Eiskanal, verglichen Fahreigenschaften und Geschwindigkeit und besserten dann nochmals nach.



Die Hohenemser Skimanufaktur Differences tritt nun gemeinsam mit dem österreichischen Nationalteam an, die Entwicklung auf gänzlich neue Füße zu stellen. Die Rodel werden erstmals wirklich reproduzierbar und können auf dieser Basis Schritt für Schritt verbessert werden. Der Konstrukteur ist ein echter Tüftler: Rainer Nachbaur, Geschäftsführer der Vorarlberger Skimanufaktur Differences. Die Konstruktionsdaten lieferte Messtechniker Marco Hermann von 1zu1 Prototypen. Hubert Kemmer, Innendienst Leiter im Vertrieb, war für die Kundenbetreuung verantwortlich.


Herr Nachbaur, wie ist Ihre Arbeit für den österreichischen Rodelverband entstanden?

Rainer Nachbaur: Ich bin mit dem Verantwortlichen im Herbst 2013 bei einer Veranstaltung ins Gespräch gekommen und wir haben gleich über die Verbesserungsmöglichkeiten in der Entwicklung diskutiert. Wir fertigen ja seit mehr als zehn Jahren sehr hochwertige Ski, alles Einzelstücke. Dadurch wissen wir sehr viel über Fahreigenschaften, Dämpfung, Dynamik und Beschleunigung unter extremen Belastungen. Außerdem können wir Composite-Kunststoffe mit verschiedenen Materialien wie Holz, Stahl, Alu oder Gummi kombinieren, die von ihren Materialeigenschaften eigentlich gar nicht zusammenpassen.

Nach dem Ende der Olympiasaison ist der Rodelverband dann auf mich zugekommen und wir haben das Projekt konkret gestartet. Erster Schritt war ein komplettes Re-Engineering des bisherigen Sportgeräts. Wir wollten den Entwicklungsprozess auf einer sauberen 3D-Konstruktion aufsetzen.

Sie haben also eine der bisherigen Rennrodeln einscannen lassen. Warum war 1zu1 Prototypen dafür der richtige Partner?

Rainer Nachbaur: Wir haben schon öfter zusammen gearbeitet. Die verstehen einfach sehr gut, was ich brauche und vor allem wie ich es brauche. Es geht dabei nicht nur um die Qualität des Scans. 1zu1 Prototypen weiß, wie sie die 3D-Daten aufbereiten müssen, damit ich sie sofort weiterverarbeiten kann.

Hubert Kemmer: Rainer Nachbaur ist im Mai auf uns zugekommen und zwei Wochen später haben wir die Rodel bereits im 3D-Scanner gehabt. Wir schauen uns immer ganz genau an, wie ein Kunde die Daten aufbereitet haben will. Das kann dem Kunden viele, viele Stunden Nachbearbeitung ersparen.

Können Sie den Vorgang für einen Laien verständlich machen?

Hubert Kemmer (lacht): Ich versuch’s mal. Beim 3D-Scan entsteht zunächst ein Bild aus Millionen einzelnen Bildpunkten – wie ein Foto aus der Digitalkamera. Im nächsten Schritt berechnet eine Software aus diesen einzelnen Punkten ein Netz aus Millionen Polygonen, das die Oberfläche beschreibt. Je feiner dieses Netz ist, desto genauer ist das Datenmodell, desto größer ist aber auch die Datenmenge.

Der dritte Schritt ist dann, auf dieser Basis eine CAD-Konstruktion zu erstellen. Das Netz aus Polygonen zeigt zum Beispiel noch viele kleine Unebenheiten. Der Konstrukteur legt dann fest, wo er eine vollkommen ebene Fläche haben will, wo eine Krümmung beginnt und in welchem Radius sie verläuft. Das geht nur händisch. Da braucht’s dann auch das Wissen, wie ein Kunde die Daten aufbereitet haben will.

Einen Rennrodel bekommen Sie nicht alle Tage ins Labor.

Marco Hermann: 90 Prozent unserer Arbeit betreffen Spritzgussteile, die wir bei 1zu1 Prototypen selbst hergestellt haben. Sie werden im 3D-Scanner genau vermessen und der Kunde erhält auf Wunsch einen Erstmusterprüfbericht. Wir bekommen aber schon immer wieder außergewöhnliche Teile. Wir hatten schon einen Christstollen im 3D-Scanner, Skulpturen von Künstlern und auch ein Gehirn. Gott sei Dank kein echtes, sondern eines aus Kunststoff.

Gab es besondere Herausforderungen im Projekt?

Marco Hermann: Unser Scanner kann ein Feld von 560 mal 560 Millimetern auf einmal aufnehmen. Wenn ein Objekt größer ist, bringen wir darauf sogenannte Referenzpunkte auf. Sie werden von der Software erkannt und die einzelnen Scans werden dann an diesen Punkten ausgerichtet und ganz exakt zusammengefügt – so ähnlich wie ein Panoramafoto am Handy. So können wir Objekte eigentlich jeder Größe scannen. Theoretisch sogar ein Auto oder ein Flugzeug.

Scannen können wir außerdem nur die Teile, die für das Auge sichtbar sind. Die Wölbung der Schale, in die die Füße hineingesteckt werden, mussten wir mit einem sogenannten Taster messen. Der ist zwar ähnlich genau, aber es entstehen nur einzelne Messpunkte und nicht ein komplettes Bild der Oberfläche, wie beim 3D-Scan. Diese Oberfläche lässt sich aber leicht konstruieren, weil wir ja die Fläche außen komplett erfasst haben und die Materialstärke kennen.

Wie ging es im Projekt weiter?

Rainer Nachbaur: Der Plan war, zunächst einmal die alte Rodel weitgehend unverändert nachzubauen, sodass wir dieselbe Ausgangsbasis haben wie bisher – nur allerdings in reproduzierbarer Form. Kleinere Wünsche der Athleten haben wir dabei natürlich gleich berücksichtigt. Wir haben den Shape, also die Form etwas adaptiert, damit die Füße besser liegen und mehr Griff haben zum Lenken.

Dann haben wir das Urmodell gefertigt, eine Holzform, auf die das Composite-Material für die Schale aufgebracht wird. Für die erste Rodel haben uns die Athleten dann eine viel zu hohe Steifigkeit vorgegeben. Die haben wir nach und nach reduziert, bis es Ende September zum ersten Test in Lillehammer ging.

Das war sicher ein spannender Moment. Wie lief es im Eiskanal?

Rainer Nachbaur: Die Sportler waren anfangs verständlicherweise skeptisch. Es war ja das erste Mal, dass sie von ihrer bewährten Arbeitsweise abgegangen sind. Nach den ersten Testfahrten war aber schon klar, dass wir auf dem richtigen Weg sind und nach einer Woche landeten die letztjährigen Modelle endgültig in einer Ecke.

Früher war jede Rodel ein handgefertigtes Einzelstück mit individuellen Fahreigenschaften. Jetzt können wir endlich professionell entwickeln, indem wir das bestehende Modell Schritt für Schritt verbessern. Die Sportler waren dazu fast jede Woche bei uns, haben uns erzählt, wie die Rodel auf Unebenheiten reagiert, wie sie sich lenken lässt. So haben wir jeweils den nächsten Schritt definiert.

Wie weit lassen sich diese Entwicklungsschritte noch berechnen? Oder arbeiten Sie hier nach Gefühl?

Rainer Nachbaur: Vieles kann man berechnen. Aber die entscheidenden Feinheiten hast Du im Gefühl. Da können wir unser Know-how aus mehr als zehn Jahren Skiproduktion einbringen und die Sportler das Ihre. Die haben die Rodel ja bisher selbst von Hand gefertigt und sind damit an der Weltspitze mitgefahren.

Hubert Kemmer: Für mich ist dieses Projekt ein Paradebeispiel für das professionelle Zusammenspiel verschiedener Partner in einem Entwicklungsprozess. Wir von 1zu1 Prototypen haben in diesem Fall die Datenbasis geliefert, Rainer Nachbaur hat die Entwicklung gemacht und dabei die Athleten perfekt eingebunden. In anderen Projekten können wir mit unserem Know-how verschiedener Herstellungsprozesse die Entwickler auf Kundenseite unterstützen. Wichtig ist immer, dass Wissen und Erfahrung aller Beteiligten zusammenfließt, damit eine optimale Lösung entsteht.

Abschlussfrage: Würden Sie sich selbst trauen, so eine Rennrodel auszuprobieren?

Marco Hermann: Natürlich! Das wäre sicher aufregend, aber auch extrem lässig. Hubert Kemmer: Ich würde zwar der Technik vertrauen. Aber bei der Vorstellung, auf einer solchen Rodel zu liegen und den Eiskanal hinunterzudonnern, hätte ich schon ein flaues Magengefühl …Rainer Nachbaur: Ich bin schon einmal in einem Bob mitgefahren. Da bist Du nur mehr Passagier, kannst nur mehr hoffen und beten, dass Du gut unten ankommst. Die Fahrt mit einer Rennrodel stelle ich mir noch viel schlimmer vor, auf dem Rücken liegend mit 130 km/h durch den Eiskanal. Aber ausprobieren werde ich das auf jeden Fall – spätestens, wenn wir nächstes Jahr auch die Konstruktion der Zweisitzer übernehmen.
 


Im Gespräch: Marco Hermann/1zu1 GOM Messtechnik, Hubert Kemmer/1zu1 Innendienst Leiter im Vertrieb und Rainer Nachbaur/Differences. Das Gespräch führte Wolfgang Pendl.

Copyright Fotos: Darko Todorovic (Foto: 2–9), Dominic Marsano (Foto: 1 und 10)


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