Bei MEDIRA ist jedes Projekt Herzenssache. Das 2020 gegründete Medizintechnik-Unternehmen aus Balingen widmet sich neuartigen Behandlungsmethoden für Herzerkrankungen. Technologie spielt dabei eine zentrale Rolle. Mit dem innovativen System TRICENTOG2 soll in naher Zukunft Menschen mit Herzklappenfehler – in der Fachsprache: Trikuspidalklappeninsuffizienz – geholfen werden. Und das ganz ohne Operation am offenen Herzen. Dazu wird ein Stent mit Herzklappe über einen transfemoral-venösen Zugang eingebracht. Das Implantat wird mittels Einführsystem positioniert und in den Hohlvenen verankert.
1zu1 liefert die Kunststoffteile für den Handgriff – insgesamt 16 Elemente in Reinraumqualität und bis aufs Hundertstel genau. Nach dem erfolgreichen Start mit dem 3D-Druck-Prototyp 2021 begannen MEDIRA und 1zu1 im Sommer 2022 mit der Finalisierung im Spritzguss. Schon drei Monate später hatte das Medizintechnik-Unternehmen die ersten Komponenten in der Hand. Seit Sommer 2023 ist die Baugruppe serienreif. Mit dem fertigen Einführsystem betreibt MEDIRA bald klinische Studien für die Marktzulassung. Mehrere Hundert Exemplare sind dabei im Einsatz und weitere werden bei Bedarf in kurzer Zeit von 1zu1 bereitgestellt.
Korbinian Biehler ist als Senior Entwicklungsingenieur bei MEDIRA unter anderem für das Design des Einführsystems von TRICENTOG2 zuständig. Bei 1zu1 begleitete Lukas Dilsky, Projektleiter im Werkzeugbau & Spritzguss, die serienreife Realisierung der Baugruppe.


Was muss das Einführsystem von TRICENTOG2 können?
Korbinian Biehler: Das Produkt besteht aus zwei miteinander verknüpften Komponenten: Implantat und Einführsystem. Die Kardiologen verwenden das Einführsystem, um das Implantat während der Operation im Herz zu platzieren. Bei MEDIRA legen wir daher großen Wert auf Qualität, Ergonomie und Optik des Systems. Die Teile müssen perfekt zusammenpassen, gut in der Hand liegen, hochwertig aussehen und natürlich alle medizintechnischen Anforderungen erfüllen.
Wie kann 1zu1 dabei unterstützen?
Korbinian Biehler: 1zu1 hat uns schon beim Prototypen geholfen und im 3D-Druck belastbare Teile aus biokompatiblem Polyamid gefertigt. Das hat uns ordentlich Zeit gespart. Mit den 3D-Druck-Teilen konnten wir bereits frühzeitig in der Entwicklung funktionale Tests bei Tieren durchführen. Und das ist alles andere als selbstverständlich. Bei der Operation wirken große Kräfte auf die Teile ein, da muss die Baugruppe schon perfekt abgestimmt sein. Die Bauteile von 1zu1 spielten da in einer eigenen Liga. Unsere Bedenken sind schnell verflogen. Mit dem Vorsprung gingen wir nahtlos an die Umsetzung der Spritzgussteile. Da kam uns die Erfahrung und Expertise von 1zu1 sehr entgegen.
Was ist damit genau gemeint?
Lukas Dilsky: Wir fertigen seit Jahren im Reinraum, bringen unser Wissen ein und haben mit der Computertomographie eine zuverlässige Qualitätskontrolle etabliert. Da sehen wir jede noch so kleine Abweichung und können zielgerichtet optimieren. Medizintechnik-Produkte wie das von MEDIRA passen mit überschaubaren Stückzahlen und hohen Ansprüchen perfekt in unser Profil. Weil wir die Anforderungen genauso kennen wie die erwartbaren Iterationsschleifen, können wir uns gut auf die Projekte einstellen. Ganz wichtig ist der permanente Kontakt mit dem Kunden. Je besser die Kommunikation, desto effizienter der Prozess.
Korbinian Biehler: Das kann ich nur bestätigen. Wir waren gleich zum Start bei 1zu1 zu Besuch und haben kritische Punkte besprochen. Das half uns enorm bei der Entwicklung. So konnten wir gemeinsam Details wie Hinterschnitte und Anspritzpunkte verfeinern. Toll war auch die Flexibilität bei den Toleranzen. Wo es aufs Hundertstel ankam, hat 1zu1 das auch geschafft und war sogar noch präziser als vereinbart. Im Gegenzug haben wir bei weniger wichtigen Stellen ein Auge zugedrückt und Funktion vor Toleranz gestellt. Das war ein produktives Geben und Nehmen.
Gab es besondere Herausforderungen an die Baugruppe?
Korbinian Biehler: Das Einführsystem muss wie aus einem Guss zusammenpassen. Da darf nichts wackeln, nichts klemmen. Schließlich müssen die Ärztinnen und Ärzte unserem Produkt voll und ganz vertrauen. Bei so vielen und teilweise recht großen Bauteilen ist das schon eine Kunst. Der Teufel steckt ja bekanntlich im Detail – und da war der Austausch wirklich Gold wert. Gemeinsam haben wir alle 16 Einzelteile analysiert und für die Fertigung optimiert.
Lukas Dilsky: Viele Bauteile hatten es in sich. Große Dimensionen, enge Toleranzen und komplexe Geometrien forderten uns alles ab. Über Mould-Flow-Analysen unseres Partners units OST haben wir verschiedene Anspritzpunkte simuliert. Mit den neuen Erkenntnissen ging es wieder an konstruktive Verbesserungen. So konnte beispielsweise bei der Gewindestange der Verzug aufs Minimum reduziert werden. Sie ist das Herzstück des Systems und mit einer Länge von 44 Zentimetern zugleich das größte Spritzgussteil in der Geschichte von 1zu1. Das Rekordbauteil gelang dank einer Sonderlösung an der Maschine.
Was konnte 1zu1 sonst noch einbringen?
Lukas Dilsky: Die Veredelung. Alle Sichtteile sind eingefärbt – im Türkis von MEDIRA und in Weiß. Die Beschriftung kommt ebenfalls von uns. Im hauseigenen Tampondruck bringen wir Logo und Schloss-Piktogramm auf zwei Bauteile auf.
Wie viel Zeit verging vom ersten Muster bis zur finalen Baugruppe?
Korbinian Biehler: Nur ein Jahr und das ist wirklich außergewöhnlich für unsere Branche. Im Juni 2022 ging es mit dem Spritzguss los. Im September einigten wir uns auf das finale Design und schon im Dezember hatten wir die ersten Teile auf dem Tisch. Seit Juni 2023 fertigt 1zu1 die komplette Baugruppe in Chargen von mehreren hundert Stück. Die nutzen wir seither für die Validierung im Rahmen des Zulassungsverfahrens.
Was sind die nächsten Schritte?
Korbinian Biehler: Bis zur Markteinführung von TRICENTOG2 wird noch etwas Zeit vergehen. Eine lange Validierungsphase ist bei Implantaten, die im Körper verbleiben, üblich. Wenn alles nach Plan läuft, streben wir ab 2026 klinische Studien an.
Im Gespräch: Korbinian Biehler ist Senior Entwicklungsingenieur bei MEDIRA. Bei 1zu1 unterstützte Lukas Dilsky als Projektleiter für Werkzeugbau und Spritzguss. Joshua Köb führte das Gespräch.